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Denis Curti Der alte Besitz
  -  Critical Essays   -  Denis Curti Der alte Besitz

Denis Curti Der alte Besitz

Die aufgenommene Szene, ausgearbeitet und arrangiert vom Künstler, Regisseur und Schauspieler, beschränkt sich auf das Innere der Atmosphäre seiner familiären Welt. In seiner fotografischen Arbeit widmet sich Philip Tsiaras seiner Familie und im selben Augenblick nimmt er sie in Besitz. Einerseits hält er fotografisch das altmodische und behagliche Klima des Familienlebens/ der häuslichen Umgebung (background) fest. Andererseits kontrolliert er die „fragile”, schützende und traditionelle, alte und konservative Szenerie, um eine Vielfalt von Distanzen und Brücken zu schaffen und zu definieren. Tsiaras, der Protagonist der fotografischen Arbeit, fügt die bedeutsamen Momente zusammen und deckt so ihre Vitalität auf. Er reduziert jede Erscheinung in der Eindringlichkeit und Verzauberung eines reflektierten Moments auf einen Gedanken.

In der Ambivalenz und der Vielschichtigkeit liegt die Wirkungskraft dieser Serie von Fotografien. Die Sicht springt hin und her, nach innen und außen: Mutter – Sohn, Vater – Onkel, jung – alt. Die beteiligten Verwandten werden aufmerksame Mitarbeiter; mitwissend und verantwortlich, vertrauen sie sich an der Rolle der Zeugen ihrer selbst bewusst.

Eine Gruppe von Schauspielern bewegt sich vor dem Objektiv, folgt den Regeln und Vereinbarungen, vertraut den Intuitionen und Vorstellungen des Künstlers und trägt zum Sinn des Werkes bei, entschlossen, Begründungen und Regeln zu akzeptieren.

Die Fotografien wurden größtenteils mit der Technik des Selbstauslösers realisiert und erweisen sich als eindrucksvolle Mittel, Sinn zu erzeugen, um im Bild die neuen Bewusstseins- und Bedeutungskategorien anzulegen. Indem er das Ganze in den alten Besitz zurückführt, in den Ursprung der eigenen Erfahrung, das Zuhause und die Familie, eignet sich der Künstler einen wichtigen Bereich der Existenz wieder an, um ihn wieder zu bewohnen. So kann er mit der Atmosphäre des Ortes arbeiten und sie in wiederbelebten Leidenschaften übersetzen. Ein Bedürfnis zu experimentieren, aufzulösen und zu erfassen, das an die Suche nach ästhetischen Möglichkeiten und nach Bereichen künstlerischer Kommunikation gebunden bleibt.

Ordnungen und Orientierungen außer Kraft setzen. Räume des Imaginären erweitern. Rollen und Ordnungen kompensieren und konditionieren. Die gewohnte Dynamik der verwandtschaftlichen Beziehung ändern, indem die Anwesenheiten und Kenntnisse, Zwänge und Pflichten verändert werden. So eine andere und außergewöhnliche Angleichung der Welten und Funktionen bestimmen. Die Bedingungen einer neuaufgelegten Familiensituation und neuer Organisationsformen schaffen.

Vor unseren Augen tritt das Wesentliche der neu gewonnenen Vorstellung in eine faszinierende interpretative Verbindung von Zeichen. Eine neue Eleganz, in der Beziehung zwischen sich selbst und der Welt, um den gewöhn-

ten Standpunkt auf den Kopf zu stellen. Jene Welt, die einmal verlassen, findet sich im Imaginären und in den Gedanken wieder, in Verweisen und Erinnerungen, um mit ihrer Gegenwart geornet und vorbereitet, betrachtet und konditioniert zu werden. Genau dies empfiehlt Elvio Facchinelli in seinem vortrefflichen Essay “La mente estati- ca”, wenn er den Leser einlädt, die Dinge vom Standpunkt der Stille aus zu betrachten.

Übung, Reflexion, Summe der Komplexität. Geschichten der Erscheinungen. Die Gefühle tauchen auf und verschwinden und es erweist sich als nahezu unmöglich, sie greifbar werden zu lassen.

Osiaras verstreut seine Präsenz unter den anderen, ohne zu flüchten. Existenz und Nichtexistenz.

Unterschiedliche Identitäten annehmen und vorführen. Die Realität ist von der eigenen Kraft und vom Ausdruck unterschiedlicher Bedingungen und Wahrnehmungen abhängig geworden. Fähig, den Blick fremd werden zu lassen, zu schweben und sich in einer aus Regeln und Rollen aufgebauten Szenerie zu bewegen, sucht der Künstler Antrieb und Beschleunigung, um eine Grammatik des Verhaltens neu zu erfinden.

Körper und Schönheit befinden sich in einem Wechsel und in einer Vielzahl von Dingen und Symbolen, ungleich zwischen Form und Erscheinung verändern sie das „fragile” Gleichgewicht und die sehr geringe Entfernung vom “Drinnen-Sein”, vom Sinn der Dinge und der alltäglichen Erscheinung.

Veränderung und Entwicklung. Die kognitive und perzeptive Modalität entwickelt sich durch die vermehrten Begegnungen und neu geschaffenen Verständigungen, um ein komplexes System in eine herausfordernde Energie des Experimentierens umzuwandeln, in eine Orientierung zur Welt, in der sich die Existenz eines Grenzgängers nicht fügt und auf ein konventionelles „Teil sein” antwortet.

Invasion, Eindringen und Ausdruck. Ein widerrechtliches Eindringen, eine künstliche und potenziell explosive Spannung, die die alten Gemeinsamkeiten notwendigerweise auf eine Neudefinition und Neugestaltung des Systems zurückführt. Portionen von Ironie und Selbstironie in einem Familienalbum, dem es gelingt – zwischen widersprechenden Gemütszuständen und Augenblicken von vorübergehender und scheinbarer Stille, zwischen der Starrheit der Blicke und Körper, zwischen dem Verweis auf klassische Formen und griechische Tradition – Verdichtung und Verschmelzung zu verherrlichen, indem eine Körperlichkeit heraufbeschworen wird, die die Beziehung mit dem Anderen auferlegt. Ein Familienalbum als Ort und Zeuge des Versuchs, der Gruppe und den Mitgliedern eine eigene Identität zu sichern, bei der sich Rollen und Haltungen, Werte und Status wieder befreien und auf der empfindlichen Oberfläche beherrschen. Agenten, die wissen, dass sie geführt und betrachtet werden und sich bewusst sind, dass sie der Dynamik eines laufenden kreativen Prozesses angehören, notwendige Elemente, die sich in die Erfindung eines Moments, in den gespielten und geforderten Dialog führen lassen.

Das größte Ziel einer Fotografie ist es, in ein Familienalbum zu gelangen. Es ist nicht gesagt, dass es in einem Familienalbum immer etwas Besonderes gibt. Philip Tsiaras macht deutlich, dass er sich dessen bewusst ist. Er eignet sich diesen Umstand an und verwandelt ihn in eine intellektuelle Aufnahme, die in der Lage ist, eine gleichzeitige Reflexion über Themen der Darstellung auszulösen.

In diesem Sinne unterscheidet sich seine Arbeit über die Darstellung von der anderer zeitgenössischer Künstler.

Für Cindy Sherman, Andres Serrano und Nan Goldin ist Fotografie Fiktion in der Fiktion. Für Tsiaras dagegen ist Fotografie Fiktion in der Realität.

Abneigung und Familiarität kennzeichnen gleichzeitig diese Fotografien. Sie regen zu Erforschungen an. Die Einrichtung des Hauses, die Gesichter und die Haltungen seiner Bewohner, Teile der Erinnerung und des Lebens bezeugen eine Realität, die aus Elementen und typischen, bereits verfestigten Konventionen besteht. Eine Familiarität, die auftaucht, wenn wir uns mit unseren Erinnerungen und Phantasien konfrontieren, auch wir uns selbst in diesen oder jenen Phantasien wiedererkennen. Das Erscheinen bebildern, die Grundelemente dramatisieren, eingreifen und für einen Weg manipulieren, der dazu befähigt, neue Bestimmungen von Bildausschnitten, neue szenische Räume, neue Reize und Darbietungen zu erreichen.

Das “Gewesene” und das “Jetzt”, Vergangenheit und Gegenwart, drängen sich dazwischen und wetteifern im zusammengesetzten Bild, als Ausdruck einer gekannten, erlebten und wieder aufgenommen Zeit, die durch Selbsterfahrung umerzogen und wiederbelebt gezeigt wird. Die Arbeit “Family Album” basiert auf dem Mechanismus der Identifikation, auf der Konstruktion einer authentischen Surrealität.

Für Tsiaras ist Kunst vor allem Aufhebung der gewöhnlichen Regeln der Beziehungen, ist Wiederversöhnung von Wünschen und Motiven, ist Quelle und virtueller Raum des Zugangs.

Auseinander nehmen und wieder zusammenfügen. Wissen entfernen und hinzufügen. Gestik und Gedanke werden Instrumente für eine Rekodierung der Bedeutungen. Der Sinn der Erscheinung ist neu bestimmt und in eine konstitutive Essenz neu ausgearbeitet, die die weiten und offenen Aspekte der Identität neu definiert: ein neues, wieder zusammengesetztes Bild, unser Patrimonium und Recht, ausgearbeitete Kreatur eines nicht ererbten Ausdrucks.